In einem Brief an den US-Präsidenten F.D. Roosevelt erklärte der berühmte Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes im Jahr 1938: "Ich halte das Wachstum von Tarifverhandlungen für wesentlich. Ich befürworte Mindestlöhne und Arbeitszeitregelungen".
Knapp 80 Jahre nach dieser Erklärung sind sich noch viele andere einig, dass Tarifverhandlungen unerlässlich sind. In den letzten Jahren hat die Präsidentin der EU-Kommission Von der Leyen erklärt dass sie eine "starker Befürworter" von Tarifverhandlungen zu sein, und die jüngsten OECD, ILO und ETUI zeigen, dass Tarifverhandlungen für die Verwirklichung gleichberechtigter und demokratischer Gesellschaften von entscheidender Bedeutung sind und zu einer krisenresistenten Wirtschaft und angemessenen Löhnen beitragen.
Nun, da ein Konsens über die Stärkung und den Wiederaufbau der Tarifverhandlungssysteme in Europa besteht, gibt es auch einen politischen Durchbruch mit der EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne, die ein klares Ziel enthält: Alle Mitgliedstaaten sollten anstreben, dass 80 % ihrer Arbeitnehmer durch einen Tarifvertrag abgedeckt sind. Ein Ziel, das derzeit nur eine Handvoll Länder erreicht hat. Diejenigen, die diese Schwelle nicht erreichen, müssen nationale Aktionspläne aufstellen, in denen sie darlegen, wie sie die Tarifverhandlungen verstärken wollen. 19 der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen dies also tun.
Um wirksam zu sein, müssen sich diese Aktionspläne erstens auf die Entwicklung von Systemen für Tarifverhandlungen mit mehreren Arbeitgebern und zweitens auf die Bewältigung der konkreten Herausforderungen bei Tarifverhandlungen in den Dienstleistungssektoren konzentrieren. Ohne einen solchen Schwerpunkt werden diese nationalen Aktionspläne vergeblich sein.
Tarifverhandlungen zwischen mehreren Arbeitgebern, eine notwendige Voraussetzung für die Erreichung der Ziele
Tarifverhandlungen können zwischen einer (oder mehreren) Gewerkschaft(en) und einem einzigen Unternehmen geführt werden, aber auch mit mehreren Unternehmen gleichzeitig. Dies ist häufig bei Arbeitgebern der Fall, die im gleichen Sektor (z. B. alle Einzelhandelsunternehmen) oder an einem bestimmten Standort (z. B. einem Flughafen) tätig sind. Diese zweite Art von Tarifverhandlungen (Multi-Employer-Tarifverhandlungen oder Branchentarifverhandlungen) hat klare Vorteile. Sie verringert die Zahl der erforderlichen Verhandlungen, stellt sicher, dass mehr Arbeitnehmer von einem Tarifvertrag erfasst werden, und gewährleistet vor allem, dass der Wettbewerb zwischen diesen Unternehmen nicht zu Lasten der Arbeitsbedingungen geht. Durch Branchentarifverhandlungen werden die Löhne effektiv aus dem Wettbewerb herausgenommen.
Deshalb unterstützen eine Reihe von EU-Ländern diese Art von System durch die Gesetzgebung oder die aktive Unterstützung von Gewerkschafts- und Arbeitgeberorganisationen auf Branchenebene.
Diese Abbildung zeigt deutlich, dass Tarifverhandlungen mit mehreren Arbeitgebern eine notwendige Voraussetzung für das Erreichen der 80 %-Schwelle der Tarifbindung ist. Die Konsequenz liegt auf der Hand. Nationale Aktionspläne müssen einige Maßnahmen zur Stärkung oder zum (Wieder-)Aufbau von Multi-Arbeitgeber-Tarifverhandlungen enthalten, und zwar durch Gesetzgebung, administrative Erleichterung oder freiwilligen Kapazitätsaufbau der Sozialpartner.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in den Dienstleistungssektoren
Wenn die nationalen Aktionspläne erfolgreich sein sollen, müssen sie sich außerdem auf die Tarifverhandlungen in den Dienstleistungssektoren konzentrieren. In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Beschäftigten im Dienstleistungssektor gestiegen, während die Zahl der Beschäftigten in der Industrie und in der Landwirtschaft rückläufig ist. Im Jahr 2020 wird fast einer von zwei Arbeitnehmer in Europa in einem der Dienstleistungssektoren tätig sein.
Darüber hinaus ist die tarifvertragliche Deckungsrate im Dienstleistungssektor vergleichsweise niedriger als beispielsweise in der Industrie oder der öffentlichen Verwaltung. Nach Schätzungen des ETUI-Forschers Wouter Zwysen weisen alle Dienstleistungssektoren unterdurchschnittliche Deckungsraten auf. Im IKT-Sektor beispielsweise liegt der Deckungsgrad 20 % unter dem europäischen Durchschnitt.
Nationale Aktionspläne für Tarifverhandlungen müssen sich zwangsläufig auf die Dienstleistungssektoren konzentrieren und die besonderen Herausforderungen dieser Sektoren angehen. Zu diesen Herausforderungen gehören:
Klare Bedingungen für wirksame nationale Aktionspläne
In der Richtlinie über angemessene Mindestlöhne heißt es eindeutig, dass die Aktionspläne die tarifvertragliche Deckungsrate schrittweise auf das Ziel von 80 % anheben sollen. Wenn die Mitgliedstaaten es mit diesen Zielen ernst meinen, müssen diese Pläne klare Schritte in Richtung sektoraler Tarifverhandlungen enthalten und die besonderen Herausforderungen für Tarifverhandlungen in den Dienstleistungssektoren angehen. Ohne diese Elemente sollten die Mitgliedstaaten an den Zeichentisch zurückgeschickt werden, um ihre Pläne im Einklang mit der Richtlinie zu überarbeiten.
04.05.23
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